Energieeinsparpotential durch Hybridlüftungssysteme

Ergebnisse einer Studie der RWTH Aachen University

Im Rahmen der vorgestellten Arbeit wird eine regelbasierte Regelung eines Hybridlüftungssystems für ein Zweipersonenbüro entwickelt und ...

... sowohl durch einen Feldtest als auch eine Gebäudesimulation bewertet. Die Evaluation der „Performance“ zeigt dabei, dass die Hybridlüftung in allen Fällen die besten Ergebnisse hinsichtlich der thermischen Behaglichkeit sowie des Energieverbrauchs im Vergleich zur rein natürlichen oder rein maschinellen Lüftung erzielt. Wie war das konkrete Vorgehen?

Die Hybridlüftung beschreibt den kombinierten Einsatz von maschineller und natürlicher Lüftung. Dies soll die Vor-teile beider Lüftungsarten vereinen und ein komfortables Raumklima bei minimalem Energieverbrauch bereitstellen. In einem Hybridlüftungssystem wird die Lüftungsart je nach Jahreszeit und auch an einzelnen Tagen variiert, indem der Regler automatisch zwischen natürlichem und maschinellem Lüftungsmodus umschaltet. Die Einflüsse auf den Betrieb eines solchen Systems sind vielfältig und komplex. Eine große Herausforderung für seine Regelung sind die zeitlich wechselnden Außenbedingungen, welche die Effektivität sowie die Einsatzfähigkeit der natürlichen Lüftung beeinflussen.

Feldtest

Die Experimente werden im Fassadenprüfstand des Lehrstuhls für Gebäude- und Raumklimatechnik des E.ON Energieforschungszentrums an der RWTH Aachen University durchgeführt. Wie in Abbildung 1 dargestellt, besteht der Prüfstand aus vier identischen Versuchsräumen. Für den Feldtest werden die beiden Testräume im Erdgeschoss und ein Testraum im ersten Obergeschoss als Zweipersonenbüro ausgestattet. In den drei Testräumen sind alle Fenster mit mechatronischen Beschlägen ausgerüstet, die eine automatische und stufenlose Kippöffnung des Fensterflügels über eine Fernsteuerung ermöglichen.

Zudem werden in jedem dieser Räume vier dezentrale Fensterlüfter mit Wärmerückgewinnung installiert, deren Zu- und Abluftvolumenströme jeweils zwischen 15 und 50 m3/h regelbar sind. Zwei elektrische Radiatoren unter der Fensterbank fungieren als Raumheizung. Zum Simulieren der Raumbelegung werden zwei beheizte „Manikins“ verwendet. An jedem „Manikin“ ist ein Schlauch für eine CO!SUB(2)SUB!-Emission befestigt. Zur raumweisen Regelung dienen jeweils ein Raumtemperatur- und ein CO!SUB(2)SUB!-Sensor. Alle drei Testräume nutzen gemeinsam einen Außentemperatursensor.

Zum Bestimmen der thermischen Behaglichkeit werden zwei Komfortmess-Sets in einem Abstand von 1,0 m zum Fenster angebracht. Jedes besteht aus vier omnidirektionalen Anemometern in Höhen von 0,1 m, 0,6 m, 1,1 m und 1,7 m über dem Fußboden. Am rechten Set werden zusätzlich ein Globethermometer sowie ein Hygrometer in der Höhe von 1,1 m installiert, um die Strahlungstemperatur sowie die relative Luftfeuchtigkeit im Raum zu messen. Anhand der Messdaten werden das vorausgesagte mittlere Votum („Predicted Mean Vote“, PMV) sowie die Beeinträchtigung durch Zugluft („Draught Rating“, DR) gemäß DIN EN ISO 7730 [1] ermittelt.

Die Hybridlüftung wird als eine regelbasierte Mehrgrößenregelung entwickelt. Wie Abbildung 2 zeigt, beeinflussen einerseits externe Störgrößen (wie Solarstrahlung, Wetterbedingung, Rauminfiltration) und andererseits interne Lasten (wie Wärme- und CO!SUB(2)SUB!-Quellen) die Raumparameter. Die Außen- und Innenbedingungen werden von entsprechenden Sensoren erfasst. Der regelbasierte Regler steuert in Echtzeit mehrere Aktoren – inklusive der Kippöffnungsweite der Fenster für die natürliche Lüftung, der Ventilatordrehzahl der Fensterlüfter für die maschinelle Lüftung sowie das Ein- und Ausschalten der elektrischen Radiatoren für die aktive Raumheizung.

Die Mehrgrößenregelung verfügt über zwei Hierarchieebenen. Das Regeln der Raumtemperatur hat höhere Priorität gegenüber dem Regeln der CO!SUB(2)SUB!-Konzentration. Die Temperaturregelung beruht auf der definierten Komfortraumtemperatur nach DIN EN 16798-1 [3]. Wie in Abbildung 3 dargestellt, wird die Solltemperatur T!SUB(soll)SUB! im Raum anhand der Außentemperatur festgelegt. Die Regelung versucht, die Raumtemperatur zwischen T!SUB(min)SUB! und T!SUB(max)SUB! mit einer Toleranz von ± 1,5 K bezüglich der Solltemperatur zu halten. Falls die Außentemperatur unter 15 °C sinkt, wird der Lüftungsmodus von der natürlichen auf die maschinelle Lüftung umgestellt, um keine Beeinträchtigung der thermischen Behaglichkeit durch kalte Luftzufuhr zu verursachen. Sofern sich die Raumtemperatur im Komfortbereich befindet, dient die CO!SUB(2)SUB!-Konzentration weiterhin als Führungsgröße. Nach ASR A3.6 [4] wird die obere Grenze der CO!SUB(2)SUB!-Konzentration im Raum mit 1.000 ppm definiert.

Die entwickelte Regelungsstrategie wird im Fassadenprüfstand an verschiedenen Tagen und unter unterschiedlichen Außenbedingungen untersucht. Für die meisten Messdaten liegt die Außentemperatur zwischen 5 und 25 °C. Für die Auswertung werden die Messungen in vier Außentemperaturbereiche gegliedert – nämlich 5 bis 10 °C, 10 bis 15 °C, 15 bis 20 °C und 20 bis 25 °C. Für jeden Temperaturbereich sind Bewertungskategorien gebildet, welche die thermische Behaglichkeit (PMV und DR), die Luftqualität, die Dauer der aktiven Kühlung und Heizung sowie die Dauer der verschiedenen Lüftungsmodi umfassen. Für jede Kategorie werden die Zeitanteile anhand der Bewertungskriterien in Tabelle 1 ermittelt.

Die Ergebnisse für verschiedene Außentemperaturbereiche hinsichtlich der Kriterien in Tabelle 1 werden in Abbildung 4 dargestellt. Die Auswertung zeigt, dass das Hybridlüftungssystem mit der entwickelten, regelbasierten Regelung eine gute Luftqualität und die thermische Behaglichkeit gewährleisten kann: Im Durchschnitt liegt der PMV-Wert zu mehr als 90 Prozent der Messdauer innerhalb der Kategorie B und zu 50 bis 60 Prozent der Messdauer innerhalb der Kategorie A. Zuglufterscheinungen treten nur selten auf, wobei sich der mittlere DR-Wert etwa 95 Prozent der Messdauer innerhalb der Kategorie B befindet.

Dies bedeutet, dass bei niedrigen Außentemperaturen die Zugluft durch die maschinelle Lüftung gut vermieden wird. Weiterhin liegt die CO!SUB(2)SUB!-Konzentration in allen drei Testräumen bei mehr als 90 Prozent der Messdauer unter 1.000 ppm. Im gesamten Außentemperaturbereich von 5 bis 25 °C ist keine aktive Kühlung erforderlich, da die Restwärme im Raum mittels Hybridlüftung effektiv abgeführt werden kann. Bei niedrigen Außentemperaturen von 5 bis 10 °C überschreitet die CO!SUB(2)SUB!-Konzentration den Grenzwert nicht, obwohl weder die maschinelle noch die natürliche Lüftung in allen Testräumen aktiviert wird. Eine mögliche Erklärung dafür besteht in der hohen Infiltration durch die Fensterlüfter, da die Luftklappen beim Ausschalten nicht automatisch geschlossen wurden.

Der Feldtest ergibt, dass die regelbasierte Regelung robust ist und eine gute Luftqualität sowie die thermische Behaglichkeit unter verschiedenen Wetterbedingungen gewährleisten kann. Die Ergebnisse sind jedoch nicht ausreichend, um den Jahresenergieverbrauch des Hybridlüftungssystems vollständig zu extrapolieren: Einerseits beschränken sich die Messungen lediglich auf den Betrieb während der Anwesenheit der Nutzer und anderseits decken sie die jährliche Außentemperaturverteilung nicht vollständig ab. Aus diesem Grund wird im nächsten Abschnitt die entwickelte Regelungsstrategie mithilfe von dynamischen Gebäudejahressimulationen weiter evaluiert.

Gebäudesimulation

Für die Gebäudesimulation in dieser Studie kommt die offene Modellierungsbibliothek „AixLib“ zum Einsatz, welche sowohl für das Modellieren von Einzelkomponenten in verschiedenen Gebäudeenergiesystemen als auch für das Modellieren von großen Stadtquartieren geeignet ist [5]. Mit der AixLib wird der Fassadenprüfstand in ein hochdetailliertes Gebäudemodell („High-Order Model“, HOM) überführt.

Abbildung 5 zeigt die Simulationsergebnisse hinsichtlich der thermischen Behaglichkeit (a, oben) sowie des Jahresenergieverbrauchs (b, unten) der Hybrid-, maschinellen und Fensterlüftung. Der betrachtete Zeithorizont für die Auswertung (anws) basiert auf einem täglichen Anwesenheitsprofil von 8:00 bis 18:00 Uhr in einem Jahr. Die Auswertung für (alle) bewertet einen Dauerbetrieb über das gesamte Jahr. Zudem wird die natürliche Infiltration des Raums zwischen 0,3 h-1 (normal, links) und 0,1 h-1 (niedrig, rechts) variiert. Die verwendeten Wetterdaten stammen aus Aachen im Jahr 2020.

Die Simulation verdeutlicht, dass die Hybridlüftung die beste thermische Behaglichkeit im Raum gewährleistet. Bei der normalen Infiltration liegt die Raumtemperatur zu mehr als 95 Prozent der Anwesenheit innerhalb des Komfortbereichs gemäß DIN EN 16798-1 und bei der niedrigen Infiltration zu mehr als 91 Prozent. Gleichzeitig benötigt das Hybridlüftungssystem den niedrigsten Energieverbrauch. Bei der normalen Rauminfiltration wird der jährliche Nutzenergieverbrauch um 11 Prozent im Vergleich zum maschinellen Lüftungssystem sowie um 17 Prozent im Vergleich zum Fensterlüftungssystem reduziert. Das Energieeinsparpotential der Hybridlüftung steigt mit der erhöhten Raumdichtheit deutlich an. Bei der niedrigen Infiltration werden Energieeinsparungen von 21 und 35 Prozent im Vergleich zu der maschinellen und Fensterlüftung erzielt.

Abbildung 6 stellt die Einflüsse der Fassadenausrichtung und des Standorts auf den Energieverbrauch dar. Für Simulationen werden Wetterdaten des Testreferenzjahrs (TRY) 2015 von Aachen, Garmisch-Partenkirchen und Frankfurt am Main genutzt. Für jeden Standort werden jeweils zwei Fassadenausrichtungen, Süd (S) und Nord (N), im Vergleich zu beiden Referenzfällen der maschinellen und Fensterlüftung untersucht. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die Fassadenausrichtung und der Standort vorwiegend den Heiz- und Kühlenergiebedarf beeinflussen. In allen Fällen ist der Energieverbrauch beim Hybridlüftungssystem am niedrigsten und beim reinen Fensterlüftungssystem am höchsten. Weiterhin weist die Auswertung darauf hin, dass das Potential zur Energieeinsparung durch eine steigende Solarstrahlung (Ausrichtung nach Süden) sowie ein wärmeres Klima zunimmt, da die Fensterlüftung häufiger eingesetzt werden kann.

Fazit

Die Hybridlüftung eignet sich sowohl für einen Neubau als auch für einen sanierten Altbau. Eine hohe Luftdichtheit des Raums ist hierbei besonders wichtig. Für den Betrieb werden Fensterantriebe, ein maschinelles Lüftungssystem sowie je ein Temperatur- und CO!SUB(2)SUB!-Sensor pro Raum, ein Zugriff auf die aktuelle Außentemperatur (Sensor oder Wetterdaten) und eine speicherprogrammierbare Steuerung benötigt. Da die Regelungsstrategie die Performance einer Hybridlüftung signifikant beeinflussen kann, wäre es denkbar, neben der regelbasierten auch eine modellbasierte Regelung einzusetzen und/oder einen aktiven Sonnenschutz (Herunter-/Hochfahren der Außenjalousien) zu integrieren.

Die Studie wurde im Rahmen des Forschungsvorhabens „SMART Ventilation“ („Semi Mechanical AiR Transport Ventilation: Kombinierte Nutzung eines maschinellen und natürlichen Lüftungssystems für mehr Energieeffizienz im Nicht-Wohnungsbau“, IGF-Nr. 40 EWN) zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen e.V. (AiF) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert.

[Dipl.-Ing. Jun Jiang, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, jun.jiang@eonerc.rwth-aachen.de / Dr.-Ing. Kai Rewitz, Oberingenieur, Teamleiter Nutzerverhalten und Komfort, krewitz@eonerc.rwth-aachen.de / Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dirk Müller, Institutsleiter, Prodekan, Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik, E.ON Energieforschungszentrum, RWTH Aachen, 52074 Aachen, dmueller@eonerc.rwth-aachen.de]

Literatur

[1] DIN EN ISO 7730:2006-05. Ergonomie der thermischen Umgebung – Analytische Bestimmung und Interpretation der thermischen Behaglichkeit durch Berechnung des PMV- und des PPD-Indexes und Kriterien der lokalen thermischen Behaglichkeit. Deutsche Fassung EN ISO 7730:2005. https://dx.doi.org/10.31030/9720035

[2] Jiang, J., Wu, Y., Rewitz, K. u. Müller, D.: Development of a Rulebased Control for Hybrid Ventilation Systems and Evaluation by Field Test. Healthy Buildings 2023 Europe. Beyond disciplinary boundaries. 2023, S. 1133–1141.

[3] DIN EN 16798-1:2022-03. Energetische Bewertung von Gebäuden – Lüftung von Gebäuden – Teil 1: Eingangsparameter für das Innenraumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden bezüglich Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik – Modul M1-6. Deutsche Fassung EN 16798-1:2019.

[4] ASR A3.6:2012-01. Technische Regeln für Arbeitsstätten. Lüftung. https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/ASR/ASR-A3-6.html

[5] Maier, L., Jansen, D., Wüllhorst, F., Kremer, M., Kümpel, A., Blacha, T. u. Müller, D.: AixLib: an open-source Modelica library for compound building energy systems from component to district level with automated quality management. Journal of Building Performance Simulation (2023), S. 1–24.

Weiterführende Informationen: https://www.eonerc.rwth-aachen.de/go/id/dmud/

Mittwoch, 17.07.2024